№14
Die Welt der Anna Depenbusch Januar 2020

Superposition 2020

Zeitreise zwischen mir und Wolfgang Pauli

Es ist längst kein Geheimnis mehr und drängt sich mittlerweile schon jedem in meiner nächsten Umgebung auf. Ich bin verliebt! Es lässt sich überhaupt nicht verheimlichen, denn ich habe diesen unverwechselbaren „Glow“, den nur Frischverliebte vor sich hinglimmen. Ja, ich habe mein Herz verschenkt. An einen Physiker. Er heißt Wolfgang Pauli. Persönlich kennengelernt haben wir uns nicht. Er ist gestorben, lange bevor ich geboren wurde. Er lebt heute in meiner Vorstellung und verzaubert mich mit dem, was ich über ihn weiß. Ich liebe nicht wirklich den Mann (ich kenne ihn ja gar nicht!), aber seine Gedanken, die mich wie flatternde Schmetterlinge beflügeln. Wolfgang Pauli gehört zu den Mitbegründern der Quantenmechanik, die das physikalische Denken vor 100 Jahren komplett auf den Kopf gestellt hat. Bis heute rätseln Physiker und Philosophen über die ungeklärten Phänomene der kleinsten Teilchen. „Ungeklärte Phänomene“? Prompt ist meine Neugier geweckt! Was sind das für Phänomene? Warum sind sie ungeklärt? Worum geht es überhaupt?

Seit gut einem Jahr ist die moderne Physik nun schon mein größtes Hobby. Jeden freien Augenblick nutze ich, lese, höre und werde reich mit Erkenntnissen belohnt. Die bunteste Bildsprache, die schönsten Metaphern und die wildesten Gedankenspiele begegnet mir dort. Wer hätte das gedacht? In so einem spröden Fach, das mir die Schulzeit so schwer gemacht hat. Den Weg ins Thema ebnen mir heute die historischen Persönlichkeiten von damals – Emmy Noether, die Mathematikerin, der ich mein Lied „Eisvogelfrau“ gewidmet habe, kennt ihr ja schon. An all diesen Personen hangele ich mich durch die Entdeckungen der Epochen. So ist mir auf der Reise auch der Nobelpreisträger Wolfgang Pauli begegnet. Er war eine zwiespältige Person. Die Kollegen fürchteten seinen kritischen Blick. Gleichzeitig bewunderten sie sein außergewöhnliches Talent. In einer Biografie ist die Rede von einem „zerrissenen Mann“, der sich mit seiner Genialität vielleicht selbst überforderte. Herrlich! Wir alle lieben doch die Geschichten vom Genie am Rande des Wahnsinns. An genau dieser Schwelle steckt doch das größte Potenzial. Da wo das Vertraute aufhört und das Neue noch nicht beginnt. Wolfgang Pauli hat in den 20er-Jahren in Hamburg als Professor gelehrt. Auf der Reeperbahn schlug er sich die Nächte um die Ohren. Vom Tresen direkt morgens zur Vorlesung war keine Ausnahme. („Frau Rachals“ – meine alte Flügeldame - behauptet, sie hätte ihn persönlich kennengelernt! Nachzulesen in Kolumne No.8.) Er heiratete eine Tänzerin vom Kiez. Die Ehe hielt nicht lang. Ich stelle mir vor, wie so ein normaler Tag bei Herrn und Frau Pauli wohl ausgesehen hat. Morgens beim Zähneputzen im Bad. Und was hat diesen Ausnahmephysiker auf seine Ideen gebracht? War es ein Geruch, ein Geräusch, ein Gefühl? Aus welchem Blickwinkel schaute er auf die Welt und die Hamburger Reeperbahn?

Mit zarten 18 Jahren begann mein eigener musikalischer Weg genau dort, im Angie’s Nightclub auf der Reeperbahn. Viermal in der Woche bin ich damals als Sängerin aufgetreten. Wäre es ein 3/4-Jahrhundert früher gewesen, hätte ich an genau diesem Ort Wolfgang Pauli treffen können. Hätten wir uns unterhalten? Hätte er mir erzählt von seinen physikalischen Theorien? Huch! – schon wieder Schmetterlingsgeflatter im Bauch. Wie schön – Zeitreisen in Echtzeit! In der Physik gibt es einen tollen Begriff: die Superposition. Sie beschreibt, dass sich Dinge entgegen dem gesunden Menschenverstand anders verhalten, als wir es annehmen würden. Sie können sich „überlagern“. Das Unerklärliche an diesem überlagerten Zustand ist die flirrende Gleichzeitigkeit von unzähligen Möglichkeiten. Genau hier fangen die Schmetterlinge in mir an zu kitzeln. Es klingt so harmonisch nach Zuversicht und Chance. Nach Freiheit und nach Möglichkeiten, um gute Entscheidungen zu treffen. 2020 schwimmt also jetzt schon in einem bunt-blubbernden Potenzial-Kochtopf. Von hier aus können wir gestalten und alles sein. Diese Position ist wirklich super!

PS. Ich glaube es wird höchste Zeit, dass ich wieder auf die Bühne komme – sie fehlt mir! Die Musik, das Klavier, die Lieder und ihr alle, mein liebes Publikum! Ich phantasiere hier schon von überlagerten Liebschaften mit verstorbenen Quantenphysikern ;-) Ich freu mich so sehr auf euch live und in „Echtzeit“. Im März ist es endlich soweit. Zum Glück! :-)

Nächste Folge: 7.Februar 2020

"Die Welt der Anna Depenbusch" Kolumne erscheint immer am ersten Freitag des Monats.

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