№5
Die Welt der Anna Depenbusch April 2019

Nachtgedanken

Über gute Orientierung im Dunkeln

Es ist doch wirklich erstaunlich, zu welchen Geräuschen Katzen im nächtlichen Revierkampf fähig sind. Also nach verspielten Schmusekätzchen klingen sie dann zumindest nicht mehr. Eher nach unheimlichen Menschtiermischwesen aus der Unterwelt. Heute Nacht war ich live dabei. Ein virtuoses Katzen-Duell über mehrere Stunden direkt unter meinem Schlafzimmerfenster. Es ging um viel. Wahrscheinlich um Eifersucht, wie so oft bei Duellen. Sagt man von Katzen nicht, sie hätten sieben Leben? Da darf man auch locker mal eines für die Liebe opfern, finde ich. Mehr kann ich zu der Situation in dieser Nacht nicht sagen. Ich kenne die beiden Kampfkatzen nicht persönlich. Meine Schlaflosigkeit habe ich dann genutzt, um mir Gedanken über meine eigenen sieben Leben zu machen.

Anders als bei Katzen verlaufen meine Leben nicht nacheinander der Reihe nach, sondern parallel nebeneinander. Also gleichzeitig. Das ist etwas schade, weil der lebensverlängernde Effekt damit wegfällt. Ich hab keine Extra-Leben in petto, die mich im Hier und Jetzt besonders mutig und risikobereit machen würden. Von wegen: wenn was schiefgeht – egal! Du hast ja noch weitere Leben auf Halde. Leider nicht. Stattdessen lebe ich sieben Leben simultan und verliere manchmal den Überblick. Wer bin ich? Wie viele, das weiß ich zum Glück.

Sieben Hauptrollen in sieben Filmen, die so unterschiedlich sind, dass sie kaum vereinbar scheinen. Genauer ins Detail möchte ich an dieser Stelle nicht gehen. Viele kennen das Gefühl. Frauen besonders. Einige Frauen, die ich kenne, spielen sogar in zehn oder elf Filmen gleichzeitig ihre Hauptrollen. Es ist mir schleierhaft, wie sie alles schaffen. Ich bewundere das sehr und finde mein eigenes vielschichtiges Durcheinander direkt etwas geordneter.

Manchmal stelle ich mir meine sieben Leben auch als ein Rudel Schlittenhunde vor. Sieben kräftige Huskys, die ich koordinieren muss, damit sie mich vorwärts ziehen. An schlechten Tagen will jeder Hund einzeln in eine andere Richtung. Der eine vor, der andere zurück, nach links oder rechts. Nichts bewegt sich vom Fleck bei höchstem Kraftaufwand. Eine sehr schlechte Energiebilanz. An guten Tagen entscheiden wir einstimmig. Die Sicht ist frei, das Ziel ist klar, der Weg geht leicht. Alles wie am Schnürchen. Ja, und dann gibt es auch noch diese ganz besonders magischen Tage, da sortiert sich das Rudel wie von selbst. Es verschmilzt zu einem großen Leittier, das die Route bestimmt, während ich meine Augen schließe und mich von der Intuition leiten lassen. Ein inneres, nur gefühltes Wissen vom Weg. Mein mentales GPS ohne Google Maps. Das sind tolle Tage. Ich weiß zwar nicht, wie es passiert, aber wenn ich die Augen öffne, bin ich da, wo ich hinwollte, ohne es vorhersagen zu können.

Neulich wäre mir mein feines Näschen für die richtige Lebensroute fast abhanden gekommen. Keine meiner sieben Hundeschnauzen wollte irgendeine Fährte aufnehmen. Seltsam. Dann heißt es Ruhe bewahren. Nicht panisch die nachtblinden Augen aufreißen und planlos in die Finsternis rennen. Augen zu – kurz warten! Bis sich die Nase an die Dunkelheit gewöhnt hat. Dann schnuppert das Rudel die Fährte wieder. Auch wenn sie heute Nacht vielleicht ein kleines bisschen nach Miezekatzen riecht.

Ich bin mir übrigens nicht sicher, ob Katzen wirklich sieben Leben haben. Ich glaube die riskieren einfach Kopf und Kragen in einem Duell obwohl sie wissen, dass sie nur eins haben. Alles für die Liebe. Wofür auch sonst?

Nächste Folge: 03. Mai 2019
"Die Welt der Anna Depenbusch" Kolumne erscheint immer am 1. Freitag des Monats.

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