Jetzt! ...Jetzt! ...Jetzt!
Neulich saß ich beim Zahnarzt im Wartezimmer und blätterte mich durch die Zeitschriften. Ich mag solche kleinen Leerlaufzeiten, wo man auf irgendetwas wartet, und sich ein bisschen die Zeit vertreibt. Herrliche Kurzentspannung. Meine Aufmerksamkeit ist dann an einem Artikel hängengeblieben, der mich ziemlich beunruhigt hat. Es ging um die gesundheitlichen Folgen, die zu viel Stress im Leben haben kann. Immer mehr Menschen fühlen sich von der Hektik und dem hohen Erwartungsdruck im Berufsleben überfordert, obwohl ihnen die Arbeit grundsätzlich Spaß macht. Vielen fällt es immer schwerer sich in ihrer Freizeit zu erholen. Die unerledigte Arbeit bleibt wie ein dunkler Schatten über ihnen hängen und belastet den Feierabend. Immer mehr Menschen fühlen sich ausgebrannt. Tendenz steigend. Schulkinder leiden schon unter Schlaflosigkeit und totaler Erschöpfung. Das klingt doch besorgniserregend! Als Grund für diesen Trend tauchte in dem Artikel mehrfach ein Wort auf, das ich vorher noch nie gehört hatte: Sofortness. Sie sei die Ursache der ernsten Lage. Eine merkwürdige Wortschöpfung, oder? Zusammengesetzt aus Sofort (auf Deutsch) und ness (auf Englisch). Auf mich wirkt dieser Begriff sehr konstruiert und kühl. Was bedeutet diese Sofortness und was hat sie mit dem ganzen Stress zu tun?
Sofortness ist die Bezeichnung für unseren rastlosen Lebenswandel. Wir streben nach maximaler Beschleunigung – im Berufsleben und in unserer Freizeit. Jeder Augenblick will optimal genutzt werden. Das erfordert ständige Erreichbarkeit, blitzschnelle Entscheidungen und prompte Erledigung. Sofort! In Echtzeit und ohne Zeitverzug – wie eine Maschine. Zehn Sekunden können plötzlich unerträglich lang werden, wenn es um die Ladezeit einer Webseite geht. Was nicht sofort passiert, ist direkt zu spät. Auf unseren Smartphones prasseln die Informationen in Echtzeit auf uns ein. Wir müssen sofort unterscheiden zwischen wichtig und unwichtig. Der Strom reißt niemals ab. Wir werden nie fertig. Keine Pause in Sicht. Das macht Stress und ich frag mich woher der Drang nach Zeitgewinn eigentlich kommt? Es scheint so, als würden wir davon nur noch getriebener werden. Je effektiver wir Zeit einsparen, um so weniger scheint am Ende des Tagen davon übrig zu bleiben. Zeit lässt sich leider nicht auf einer Festplatte speichern oder irgendwo in der Tupperdose für einen späteren Augenblick frischhalten.
Während ich den Artikel im Wartezimmer las, musste ich an den Roman „Momo“ von Michael Ende denken. Als Kind habe ich diese Geschichte sehr geliebt und mich vor den „grauen Herren“ – diesen unheimlichen Zeitdieben, gegruselt. Die grauen Herren treiben die kostbare Lebenszeit der Menschen ein und machen damit in ihrer Zeitsparkasse krumme Bankgeschäfte auf Kosten der Lebensfreude aller. „Zeit ist Geld“ fällt mir sofort dazu ein. Der gängige Spruch von Benjamin Franklin aus seinem Buch „Ratschläge für Kaufleute“ von 1748 erscheint mir aktueller denn je. Die gehetzten Investmentbanker der heutigen Zeit sehen in ihren massgeschneiderten, grauen Anzügen, den grauen Herren von Momo doch erschreckend ähnlich, oder? Mich besorgt dieser Gedanken von einer verspekulierten Zeit.
Wie sieht es eigentlich in meinem Leben aus mit den Zeiträubern? Mit all den digitalen Dingen, die permanent meine Aufmerksamkeit fordern und sofort bedient werden wollen? Wo sind meine kleinen Erholungsinseln zum Auftanken und Regenerieren? Für mich ist Musik eine große Energiequelle für die ich sehr dankbar bin! Und jede klitzekleine Lücke im Alltag tut gut, wo ich für einen Bruchteil mal ausgebremst werde von meiner Sofortness. Zum Beispiel in einem Wartezimmer beim Zahnarzt, um mir genau diese Gedanken hier zu machen.
Wie wäre es, wenn „Echtzeit“ weniger für die getriebene Sofortness steht, sondern viel mehr für „echte“ Zeit? Zeit, in der ich den Augenblick bewusst erlebe, in mir spüre und wirklich mit dabei bin im Hier und Jetzt? Das klingt irgendwie gesund. Ich denke es wird höchste Zeit für mehr Echtzeit!
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