Alles auf Null
Ich mag die erste Januarwoche! Von mir aus könnte man die letzte Dezemberwoche auch einfach gegen eine zweite erste Januarwoche tauschen. Das entspricht viel mehr meinem Naturell. Dezember heißt doch immer Endspurt, Hektik, alles gleichzeitig, keine Zeit, und dabei will man doch soo entspannt und besinnlich sein. Der Januar dagegen ist einfach da und will erstmal noch gar nichts. Ich spüre nur ein angenehm schläfriges Kribbeln im Körper, wenn die erste Kalenderwoche des Jahres so übersichtlich leer vor mir liegt. Als mögliches Angebot, um alle Uhren wieder auf Null zu drehen, und um sich selbst auf eine bessere, effektivere Version upzudaten. Zurück auf Neustart – aber wie?
Vor vielen Jahren habe ich bei einem Gesangs-Workshop gelernt, wie man sich als Sängerin auf der Bühne visualisiert. Damals konnte ich damit absolut gar nichts anfangen. Sich selbst visualisieren? Was für ein Blödsinn. Mein Motto für eine gute Show war eindeutig: Du gehst raus und gibst alles. Fertig. Mehr geht nicht. Heute ertappe ich mich dabei, wie ich mich vor großen Konzerten tatsächlich mental auf die Bühnensituation vorbereite. Ich sehe mich selbst vor meinem geistigen Auge, wie ich z.B. schwierige Klavier-Passagen fehlerfrei spiele oder mit himmelhohen Schuhen an der Bühnenkante tänzele, ohne über mein Mikrofonkabel zu stolpern. Sportler visualisieren ihre Wettkämpfe doch auch, habe ich gehört. Das macht Sinn. Du erreichst nur das, was du dir selbst mental bis ins Detail vorstellen kannst. Der Körper weiß sonst nicht, was er tun soll, wenn ihm der Geist keine guten Vorschläge liefert. Dann purzelt er hin. Mein Körper zumindest. Das ist mir auch schon im Konzert passiert. Aber kein Problem. Aufstehen, Krönchen richten, weitersingen. Heute kann ich mit Gewissheit sagen, dass ich auf der Bühne viel freier und flexibler geworden bin, seitdem ich mich selbst visualisiere. Also ist das doch kein Blödsinn. Vielleicht funktioniert die Visualisierung sogar für meine guten Neujahrsvorsätze? Gelingt mir 2019 womöglich besser, wenn ich es mir vorher ganz genau vorstelle – Tag für Tag? Das bezweifle ich. Außerdem: wann soll ich das denn zeitlich noch machen? Selbstoptimierungsvisualisiererei an 365 Tagen? Schon das Wort ist mir zu anstrengend.
Mal ehrlich, ist es nicht eigentlich schon eine schlechte Angewohnheit, wenn ich mir jedes Jahr pünktlich zu Silvester all diese guten Neujahrsvorsätze mache? Warum? Weil ich sie eh nicht einhalte. Weil es alberner Quatsch ist, den Lebenswandel an einem bestimmten Datum festzumachen. Da wäre es doch mal ein guter Vorsatz, sich das mit den guten Vorsätzen gänzlich abzugewöhnen! Oder fehlen sie mir dann als Leuchtturm zur Orientierung? Neulich, als ich auf einem Neujahrsempfang den Gesprächen der anderen Gäste lauschte, hörte ich eine Frau sagen, sie wolle sich in 2019 mehr zutrauen und „öfter mal über ihren Schweinehund springen.“ Über ihren Schweinehund springen? Ich bin mir nicht sicher, ob sie es wirklich so gemeint hat, oder ob sie den besagten eigentlich überwinden wollte, um öfter über ihren Schatten zu springen. Egal, das Bild ist außerordentlich stark und sogar doppelt mutig. Ich sehe es vor mir: Mein eigener (schattenloser) Schweinehund im wilden Galopp. Ich sause daneben her als fliegender Pfeil durch die Luft, ssswuuusch drüber hinweg, dreifache Schraube um die eigene Achse, Salto rückwärts, gestreckter Stand. Bäm! – Volle Punktzahl! So wird visualisiert meine Damen und Herren.
Ich glaube, wir dürfen uns selbst und gegenseitig einfach noch viel mehr zutrauen. Ich visualisiere uns jetzt mal zusammen für die ganz große Bühne: Optimistisch, stark, flexibel und offen für all die Aufgaben, die in diesem Jahr auf uns zukommen. Dann weiß unser großer Gemeinschaftskörper bestimmt besser, was er zu tun hat. Schaden kann es nicht. Wer macht mit? Nur so als letzten Mini-Vorsatz. Frohes Neues!
"Die Welt der Anna Depenbusch“ Kolumne erscheint ab jetzt immer am 1. Freitag des Monats. Nächste Folge: 01.02.2019
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